Durch die Corona-Pandemie sind Lehrkräfte gezwungen, zumindest Teile ihres Unterrichts online anzubieten. Fünf grundlegende Tipps für Lehrer*innen, die den Einstieg wagen oder ihre Praxis verbessern wollen.
Während einige Lehrer*innen gut vorbereitet sind, da sie schon vor den Schulschließungen viel mit digitalen Tools gearbeitet haben, haben andere erst jetzt begonnen und sind durch die Umstände gezwungen, schnell Inhalte umzuwandeln und digital zugänglich zu machen. Klar ist, dass die aktuelle Situation ein Einstieg in den digitalen Unterricht sein kann – aber auch nur der Beginn. Es gilt eine Gratwanderung zwischen schneller Reaktion und Qualität zu meistern: Einerseits muss rasch gehandelt werden, andererseits darf das komplexe Thema nicht überstürzt angegangen werden. Nicht nur, weil die Auswirkungen des Coronavirus vermutlich noch einige Zeit anhalten werden, ist es wichtig, dass nach den ersten Gehversuchen weitere Schritte folgen. Sondern insbesondere auch um die grundlegende Veränderung von Lernen und Lehren als Chance zu nutzen. Die folgenden fünf grundlegenden Tipps helfen beim Einstieg.
Tipp 1: Raus aus dem Einzelkämpfer*innen-Dasein
Zunächst gilt es, sich klarzumachen, dass man nicht alleine ist. Auch wenn der Unterricht weiter in der Hand der einzelnen Lehrkräfte liegt, heißt das nicht, dass man keine Unterstützung annehmen kann. Das Angebot möglicher Hilfestellungen ist groß. An vielen Schulen gibt es zum Beispiel IT-Beauftragte, die über viel technisches Wissen verfügen.
Das Corona-Thema kann auch Anlass sein, um mit den Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen. In den meisten Schulen gibt es „Vorreiter*innen“, die über einen großen Erfahrungsschatz verfügen und oft bereit sind, ihr Wissen zu teilen. Auch schulübergreifend können Netzwerke für den Austausch genutzt werden. Vielleicht finden sich ja sogar Kolleg*innen, die bereit sind, Unterrichtsstunden zusammenzulegen, um fächerübergreifend an Projekten zu arbeiten. Eine andere Möglichkeit wäre beispielsweise, sich für Team-Teaching-Modelle zu öffnen, um sich gegenseitig bei den (ersten) Gehversuchen im Online-Unterricht zu unterstützen.
Nicht zuletzt kann man zurückgreifen auf einen mittlerweile immensen Angebotsmix im Internet, wie z.B. unser Seminar-Angebot, offene Wissenssammlungen zum Unterricht Online oder diverse Blogs und Podcasts von Lehrkräften.
Tipp 2: Unsicherheiten akzeptieren und realistische Erwartungen an sich selbst setzen
Gerade wer sich bisher wenig mit Online-Lernen oder digitalem Unterricht beschäftigt hat, empfindet den plötzlichen Zwang wie einen Sprung ins kalte Wasser. Der Wechsel von Präsenz-Unterricht hin zu komplett digitalem Fernunterricht ist ein großer Eingriff in die bisherigen Praktiken – und das wirft teils jahrelange Lehrerfahrungen über Bord. Hier gilt es sich klarzumachen, dass Unsicherheiten völlig normal sind.
Für fundierten, gut durchdachten Digitalen Fernunterricht braucht es Zeit. Und die gibt es gerade nicht. Die Erwartungshaltung muss also heruntergeschraubt und es muss anerkannt werden, dass die Ansätze teilweise nur auf der „So-gut-es-geht“-Ebene bleiben. Frustrationen, sowohl auf der Seite der Lehrkraft als auch unter den Schüler*innen oder Eltern, müssen von vornherein einkalkuliert werden. Das Stichwort lautet: Kommunikation; denn mangelhafte Kommunikation ist eine der größten Frustrationsfallen, aber auch eine, die relativ leicht verbessert werden kann.
Es gilt, die Komplexität des Digitalen Fernunterrichts anzuerkennen und dies den Schüler*innen und ihren Eltern zu vermitteln. Man muss sich klarmachen: Ein unter derart außergewöhnlichen Bedingungen und mit Hochdruck installierter Online-Unterricht kann gar nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen. Viel wichtiger ist es, sich die Learnings zu notieren und es von Woche zu Woche besser zu machen.
Eine große Veränderung von Lehrgewohnheiten bietet auch eine wertvolle Gelegenheit, sich mit der eigenen Rolle und Persönlichkeit als Lehrer*in auseinanderzusetzen und sich Fragen zu stellen, wie:
- Was sind meine Stärken?
- Was ist mir wichtig im Unterricht (z.B. Fokus auf Wissensvermittlung, Interaktion, Erfahrbarkeit, Soft Skills oder…)?
- Welche Persönlichkeitsanteile spielen im eigenen Unterricht eine Rolle (bin ich z.B. eher extrovertiert oder introvertiert)?
Wer sich solche Fragen ehrlich stellt, kann darauf seinen Unterricht aufbauen – auch und gerade im Online-Bereich. Wer beispielsweise eher introvertiert ist, sollte möglicherweise eher Audio- oder Text- statt Videoformate bevorzugen. Wer wenig spontan ist, sollte sich auf asynchrone Formate konzentrieren. Wem Interaktion unter den Schüler*innen am Herzen liegt, der sollte viel Raum für Gruppenarbeiten, Forendiskussionen oder Chats einplanen. Denn es entsteht auch digital eine viel größere Sicherheit, Authentizität und Verbindung zu den Schüler*innen, wenn die Lehrkraft im Rahmen der eigenen Persönlichkeit agiert und sich nicht verstellt.
Tipp 3: Die Lerninhalte und Lernziele nach wie vor in den Vordergrund rücken
Es müssen nicht alle bisherigen Unterrichtskonzepte über Bord geworfen werden. Im ersten Schritt gilt es, zu überlegen, welche Unterrichts-Elemente niedrigschwellig online gespiegelt werden können. Hierzu können z.B. Inputs gehören, die beispielsweise im Audio- oder Videoformat aufgenommen und online zur Verfügung gestellt werden. Selbstlernphasen können ebenso relativ einfach online angeleitet werden.
Es wird jedoch schnell klar, dass man den gewohnten Unterricht nicht eins zu eins in den Online-Bereich übertragen kann und neue Konzepte hermüssen. Als Lehrer*in sollte man sich hierbei nicht mit den didaktischen und technischen Anforderungen überladen, denn der Fokus sollte weiterhin auf den eigenen inhaltlichen Kompetenzen liegen. Die Inhaltsfrage steht weiterhin vor dem Format. Hier gilt es anzusetzen und sich zu fragen: Was sind die wichtigsten Fertigkeiten, Kompetenzen und Wissenselemente, um die sich der Unterricht drehen soll?
Hilfreiche Fragen sind daher auch: Was habe ich vor der Schulschließung warum gemacht? Welche Ziele hatte ich mit welchen Unterrichtselementen? Es gilt, sich diese Ziele klar zu machen, immer wieder in den Blick zu nehmen und diese transparent zu machen. Damit hat man eine gute Grundlage für den Digitalen Fernunterricht und so kann die aktuelle Situation auch eine Chance sein, um sich seine Lerninhalte und Lernziele bewusst zu machen und diese möglicherweise zu überdenken.
Tipp 4: Sich in die Schüler*innen hineinversetzen und einen starken Fokus auf die Kommunikation legen
Digitaler Fernunterricht bedeutet, dass die Schüler*innen isoliert zu Hause arbeiten und deutlich weniger sozial interagieren als im Klassenraum oder auf dem Pausenhof. Zwei Dinge müssen daher in den Vordergrund gestellt werden:
1. Die Zusammenarbeit der Schüler*innen sollte gestärkt werden
Um Online-Kommunikation der Schüler*innen untereinander zu initiieren, hilft es, mit einfachen Dingen zu starten. Das können beispielsweise Forendiskussionen in der Schulcloud sein oder auch der gezielte und moderierte Aufbau von Chat-Gruppen. Sollte es schon bestehende Kommunikationswege der Schüler*innen geben, kann auch darauf zurückgegriffen werden. Sofern man mit einem Video-Konferenzsystem arbeitet, kann man auch gezielt einen parallelen „Raum“ für Schüler*innen (mit Moderationsrechten) einrichten. Eine weitere Möglichkeit ist es, Tandems oder Kleingruppen unter den Schüler*innen zu bilden und den intensiven Austausch und die Zusammenarbeit (Peer Learning) innerhalb dieser zu forcieren.
2. Als Lehrer*in muss man viel Raum für klare Kommunikation, Feedback und eine verstärkte Erreichbarkeit einplanen
Um den Schüler*innen mehr Sicherheit zu vermitteln, ist eine klare Kommunikation und regelmäßige Erreichbarkeit sinnvoll. So können beispielsweise tägliche gemeinsame Check-Ins zur Klärung von Fragen oder für sozialen Austausch genutzt werden.
Gerade zu Beginn sollte auch Wert auf organisatorische Fragen gelegt werden: Sind alle Anweisungen und Materialien auffindbar? Sind die Aufgaben gut beschrieben und gut zugänglich? Gibt es Fristen, die an zentraler Stelle stehen müssen? Wie gebe ich Feedback? Es sollte so klar wie möglich und ggf. an mehreren Orten erklärt werden, was die Schüler*innen in den nächsten Wochen vom Unterricht erwarten können. Für die Transparenz ist es außerdem wichtig, zu erläutern, wofür die Schüler*innen selbst verantwortlich sind, welche Prioritäten es gibt und wie sie mit der Lehrkraft in Kontakt treten können (Chat, Messaging-App, E-Mail, Videoanruf, Telefonsprechzeiten, …).
Die Kommunikationswege müssen in beide Richtungen sichergestellt werden. Lehrer*innen und Schüler*innen sollten sich gegenseitig regelmäßig Feedback geben – dies gilt im digitalen Fernunterricht vermehrt sowohl für organisatorische als auch inhaltliche Themen. Eine Sicherstellung, dass alle Schüler*innen im gleichen Boot sitzen, wirkt gruppendynamisch enorm und hilft vor allem auch benachteiligten Schüler*innen oder jenen, die technische Hürden überwinden müssen. Die Kommunikationskanäle sollten zudem vielseitig sein, denn Audio- oder Video-Kommunikation fördern stärker das Engagement als reine Text-Kommunikation. Aber auch gut moderierte Chats, bei Bedarf mit Untergruppen, können funktionieren.
Bei der Planung des Unterrichts sollte den Selbstlernphasen viel Raum gegeben werden, in denen das Wiederholen, Reflektieren oder reine Aneignen von Inhalten im Vordergrund steht. Die selbstorganisierten Lernphasen müssen allerdings in der Regel intensiver begleitet werden.
Tipp 5: Niedrigschwellige Tools nutzen für schnellere Erfolgserlebnisse
Statt komplexen, neuen, innovativen Tools sollte man für den schnelleren Start – soweit vorhanden – besser Tools wählen, die an der eigenen Schule schon genutzt werden. In unserem online Seminar How To – Tipps zu Technik und Software kann man sich aber auch für weitere digitale Hilfsmittel inspirieren lassen.
Niedrigschwellig sind meist auch die grundlegenden, asynchronen Möglichkeiten in den jeweiligen Schulclouds. So hilft es beispielsweise, Foren als gemeinsame Kommunikationskanäle (sowohl für inhaltliche als auch organisatorische Fragen) zu etablieren, auch damit nicht alle Anfragen der Schüler*innen einzeln beantwortet werden müssen. Gerade diese Asynchronität entlastet Lehrer*innen und Schüler*innen von dem Gefühl, online jetzt imitieren zu müssen, was sonst vor Ort in der Schule passiert. Tatsächlich bietet gerade die fallweise Auswahl von synchronen und asynchronen Kommunikationskanälen den größten Mehrwert. Eine Face-to-Face-Interaktion lässt sich selbst mit den besten Tools nicht eins-zu-eins ersetzen. Inhaltliche Lernziele lassen sich aber sehr wohl auch anders erreichen, als durch die Emulation analoger Lehr-Lernsituationen. Probieren Sie es aus!
Dieser Beitrag basiert auf einem von Dr. Christine Tovar am 19. März 2020 im Hochschulforum Digitalisierung veröffentlichten Artikel. Es handelt sich dabei um eine Ressource der Creative Commons CC BY-SA 4.0.