Was bringt Lerncoaching für Kinder und Jugendliche?
Lehrer*innen sind in ihrem Alltag immer auch Lerncoaches. Sie helfen direkt im Unterricht dabei, zu verstehen, warum eine Aufgabe nicht angegangen wird, oder unterstützen nach dem Unterricht bei Krisen, die sich auf individuelle Lernhürden beziehen. Doch selten ist im Unterrichtsalltag Zeit dafür, diese Herausforderungen wirkungsvoll über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Einige Schulen haben Lerncoaching deshalb fest im Stundenplan verankert und machen ausschließlich bestärkende Erfahrungen.
Inhaltsverzeichnis
- Was ist Lerncoaching?
- Was haben die Schüler*innen davon?
- Was haben Lehrer*innen davon?
- Worauf kommt es an?
- Was macht man beim Lerncoaching?
- Wie kannst du Lerncoach werden?
- Materialien und Links
Was ist Lerncoaching?
Beim Lerncoaching geht es, anders als bei der Nachhilfe, nicht um einen konkreten fachlichen Lerninhalt, sondern um das Wie des Lernens. Wie kann ein*e Schüler*in am besten lernen? Welche Lernstrategien funktionieren für diese*n Schüler*in und welche nicht? Die Schüler*innen erlangen Wissen über das eigene Lernen, die eigenen Bedürfnisse und Emotionen und können Schlussfolgerungen daraus ziehen. Sie werden handlungsfähig und lernen, Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen.
Lernpsychologische Erkenntnisse zeigen, dass Lernen ein hoch individueller Prozess ist, der mit persönlichen Vorerfahrungen, Vorwissen und Anknüpfungspunkten aus der Lebensrealität der Lernenden zusammenhängt. Im Lerncoaching werden Schüler*innen entsprechend nicht als Teil einer Klasse angesprochen und bewertet, sondern als Individuen da abgeholt, wo sie stehen, und von dort aus in ihren Lernprozessen begleitet. Durch persönliche und vor allem erreichbare Ziele geraten sie weniger in Überforderung und machen regelmäßig Selbstwirksamkeitserfahrungen. Dabei lernen sie mit Unterstützung des Coachings ihre Stärken kennen, bauen Resilienz auf, entwickeln eine positive Fehlerkultur und wachsen über sich selbst hinaus.
Was ist das Ziel von Lerncoaching?
Ziel des Lerncoachings ist, …
- individuell erreichbare und attraktive Ziele herauszuarbeiten.
- die persönliche Motivation für das Erreichen der Ziele zu erforschen.
- ein sinnvolles Vorgehen zum Erreichen der Ziele und das Zeitmanagement festzuhalten.
- Lernstrategien zu entdecken, die jeweils individuell gut funktionieren.
- Lernhemmungen und destruktives Verhalten zu erkennen und einen produktiven Umgang damit zu finden.
- neue Gewohnheiten aufzubauen und proaktives Handeln zu fördern.
- Selbstständigkeit und Eigenverantwortung in den Lernprozessen zu stärken.
Ziel ist es auch, Schule zu einem Ort der Neugier und des Miteinanders zu machen, die Freude am Lernen zurückzubringen. Wenn Schule und Lernen aus Perspektive der Schüler*innen primär an Konkurrenzdenken, Prüfungsdruck und Sanktionen geknüpft sind, gehen Neugier und die Freude am Knüpfen neuer Zusammenhänge verloren; das kann Schüler*innen im schlimmsten Fall krank machen.
Was haben Schüler*innen von Lerncoaching?
- Sie entdecken Neugier und Freude am Lernen.
- Sie werden in ihrer Individualität und mit ihren Bedürfnissen gesehen. Sie werden nicht mit anderen verglichen, erkennen ihren eigenen Prozess und können ihn reflektieren.
- Sie werden selbstständiger und übernehmen Verantwortung in ihren Lernprozessen.
- Sie erkennen ihre Stärken und bauen sie aus.
- Sie finden Lernstrategien, die für sie funktionieren.
- Es gelingt ihnen, ihre Prüfungsangst zu überwinden.
- Sie lernen, Prokrastination zu erkennen und dieser entgegenzuwirken.
- Sie begegnen den Anforderungen von Schule resilient.
- Sie lernen Kompetenzen für ihr Leben nach der Schule.
Was haben Lehrer*innen von Lerncoaching?
- Sie arbeiten mit motivierten und zufriedeneren Schüler*innen.
- Sie haben Gelegenheit, ihre Schüler*innen besser kennenzulernen und positive Beziehungen zu ihnen aufzubauen.
- Sie werden der Individualität und Diversität ihrer Schüler*innen gerecht.
- Sie können Verantwortung für die Lernprozesse der Schüler*innen an diese abgeben.
- Sie werden ihrem Bildungsauftrag zufriedenstellender und effektiver gerecht.
- Sie haben Zeit, Herausforderungen der Schüler*innen, wie Prüfungsangst oder Prokrastination, zugewandt und zielorientiert zu begegnen.
- Sie werden den Bedürfnissen von Schüler*innen beispielsweise mit ADHS, LRS oder besonderen emotionalen Bedürfnissen besser gerecht, können sie besser verstehen und auf sie eingehen.
- Sie erleben mehr Freude und Selbstwirksamkeit bei der Arbeit.
Worauf kommt es bei Lerncoaching an?
Der Weg ist das Ziel. Es geht darum, positive Veränderungen in kleinen Schritten zu bewirken und den Prozess sichtbar zu machen. Diese Elemente von Lerncoaching sind auf dem Weg zentral:
Grundhaltung: Alle Beteiligten sind an positiven Veränderungen interessiert. Die Schüler*innen wollen lernen. Die Schüler*innen wollen selbstwirksam und eigenverantwortlich lernen.
Growth Mindset: Schüler*innen finden heraus, wo ihre Stärken liegen und lernen einen produktiven Umgang mit Hürden und Fehlern.

Selbstreflexion: Systemische Fragetechniken gehen davon aus, dass der*die Coachee selbst am besten weiß, was er*sie zum erfolgreichen Lernen braucht und regen an, dem auf den Grund zu gehen.
Individuelle Ziele: Lernprozesse sind so individuell, dass es keine einheitlichen Lernziele geben kann. Die Coachees müssen also befähigt werden, ihre eigenen Motivatoren und Ziele zu entdecken und zu formulieren.
Lösungs- und Ressourcenfokus: Was läuft gut? Worauf kann der*die Coachee aufbauen? Welche Stärken und Ressourcen sind vorhanden? („Finde heraus, was gut funktioniert und tue mehr davon.“ „Etwas funktioniert trotz großer Anstrengung nicht? Versuche es anders.“)
Konkrete Handlungsstrategien: Das konkrete Handeln steht vor dem umfassenden Verstehen der Hintergründe. Handlungsstrategien werden entworfen und können direkt ausprobiert, umgesetzt und anschließend reflektiert werden.
Emotionen und Bedürfnisse: Beide beeinflussen Lernprozesse. Im Lerncoaching bekommen sie Raum, werden beidseitig gesehen und erkundet. So kann man produktiv auf sie eingehen.
Beziehungen gestalten: Lehrkräfte, die ihre Schüler*innen in der Rolle als Coaches regelmäßig sprechen, berichten vorwiegend von der Entwicklung positiver und zugewandter Beziehungen, die auch positiven Einfluss auf das Miteinander und den Lernprozess haben.
Regelmäßigkeit: Sie hilft, dranzubleiben, nachzusteuern, Strategien zu verwerfen und neue zu finden sowie Erfolge sichtbar zu machen und zu feiern.
Wie kann der Ablauf einer Lerncoaching-Sitzung aussehen?
Lerncoaching ist normalerweise darauf ausgelegt, in einer Eins-zu-eins-Situation durchgeführt zu werden. Es gibt jedoch auch Konzepte für Gruppen- bzw. Klassencoaching. Wenn du eine Idee erhalten möchtest, wie das aussehen kann, schau doch am besten einmal dieses Video an. Hier fasst Hanna Hardeland zusammen, worum es beim Klassencoaching geht.
In einem Einzelcoaching kann ein sinnvoller Ablauf zum Beispiel so aussehen wie in dem folgenden Leitfaden. Er kann als Grundlage für den Ablauf einer Lerncoaching-Sitzung herangezogen werden. Passe ihn gern so an, wie es dir in deinem Kontext nützlich erscheint.
- Einstieg ins Gespräch / Check In
- Wie startest du in das Gespräch? Möchtest du noch etwas loswerden, bevor wir starten?
- Wie geht es dir gerade in deinem Lernumfeld? (Kann mit Hilfe einer Skala abgefragt werden, wenn es den Lernenden schwerfällt, sich mit Worten auszudrücken – so gibt es auch einen messbaren Vergleich zum nächsten Gespräch.)
- Wie geht es dir in deiner Lerngruppe?
- Stärken stärken
- Was ist dir in deiner letzten Lernphase gut gelungen?
- Worauf bist du besonders stolz in deinem Lernprozess?
- Was hat dir dabei geholfen, erfolgreich zu lernen?
- Analyse des Lernens
- Was ist dir vielleicht noch nicht so gut gelungen?
- Wo hast du im Lernprozess Hindernisse oder Hürden gespürt?
- Was bremst dich in deinem Lernprozess?
- Lernziele vereinbaren
- Wo siehst du dich bei unserem nächsten Termin?
- Woran möchtest du gerne arbeiten?
- SMARTes Ziel formulieren (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert)
- Wer oder was kann dich vielleicht dabei unterstützen, deinem Ziel näher zu kommen?
- Gesprächsabschluss
- Vielen Dank für deine Offenheit und den Mut, all das mit mir zu teilen. Bei Fragen stehe ich dir zur Verfügung.
- Neuen Termin für‘s nächste Gespräch vereinbaren.
- Abschied
Wenn du dir ein konkretes, beispielhaftes Bild von einer Lerncoaching-Sitzung machen möchtest, kannst du dir unser Video aus der Richtsberg-Gesamtschule in Marburg ansehen, das im Rahmen des Projektes „UnLearn School. Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft“ entstanden ist:
Wie kannst du Lerncoach werden?
Lerncoachinggespräche können grundsätzlich von allen durchgeführt werden, Coachingkompetenzen unterstützen die Gesprächsführung und Begleitung der Individuen jedoch erheblich.
Es kann also helfen, sich weiterführend in die systemische Gesprächsführung einzulesen und auszuprobieren, wie die Fragetechniken sich auswirken. Einen ersten Einblick erhältst du in unserem Blog-Artikel zu Coachingmethoden für deine Lernbegleitung.
Wenn du dich vertiefend mit der Rolle und Haltung sowie den Kommunikationsstrategien eines*r Lerncoach auseinandersetzen möchtest, kannst du auch eine der vielen Ausbildungen, Fortbildungen und Weiterbildungen wahrnehmen, die im deutschsprachigen Raum angeboten werden. Dies sind einige Beispiele, die dich interessieren könnten:
- Die Universität Hamburg bietet eine Ausbildung nach dem Kieler Modell an: https://www.zfw.uni-hamburg.de/weiterbildung/kommunikation-paedagogik-didaktik/lerncoaching.html
- Hanna Hardeland bietet sowohl Fortbildungen zu Einzel- als auch zu Klassencoaching an und hat außerdem Bücher zu diesen Themen veröffentlicht: https://www.hanna-hardeland.de/
Stefan Lesch bietet bei fobizz eine niedrigschwellige und kostengünstige Einführung: https://plattform.fobizz.com/fortbildungen/631-lerncoaching-im-unterrichtsalltag-implementieren
Lerncoaching strukturell verankern
Wenn dich darüber hinaus interessiert, wie Lerncoaching strukturell an deiner Schule implementiert werden kann, kannst du entweder an Schulen in deiner Region, die es bereits konsequent umsetzen, hospitieren und deine Fragen loswerden. Auf diesen beiden Seiten kannst du passende Schulen ausfindig machen:
- In dieser Karte von beWirken findest du inspirierende Schulen, die Teil des Lernkulturwandels sind: https://bewirken.padlet.org/bewirken/tipps-zum-hospitieren-di6xnl7wqymxnf58
- Auch der Deutsche Schulpreis ermöglicht es, sich die prämierten Schulen nach Stichworten (z.B. Lerncoaching) und Bundesland anzeigen zu lassen: https://www.deutscher-schulpreis.de/preistraeger
Wende dich außerdem gern an uns, um herauszufinden, wie beWirken dich und deine Schule in einem ganzheitlichen Schulentwicklungsprozess hin zu mehr Lernbegleitung unterstützen kann: info@beWirken.org
Fortbildungsreihe
Lernbegleiter Journey
Mache dich mit dem Konzept vertraut und unternimm erste Versuche, Lernbegleitung in deiner Unterrichtspraxis anzuwenden.
- 4 Monate - 8 digitale Module
- praktische Impulse zu selbstorganisiertem Lernen
- Lernen im ganz eigenen Tempo, enge Begleitung in der Lerngruppe
- Anmeldung für Einzelpersonen oder Kleingruppen möglich
Weiteres Material und spannende Links:
- Hanna Hardeland hat zum Lerncoaching mehrere Bücher veröffentlicht: https://www.hanna-hardeland.de/presse-publikationen/
- Perkhofer-Czapek, Monika (2016): Lernbegleiter/in und Lernbegleitung. In: Begleiten, Beraten und Coachen – Der Lehrerberuf im Wandel. Wiesbaden, Springer Fachmedien, S. 61-97.
- Bäuerlein, Kerstin; Krüger, Maleika; Bühlmann, Franziska: Lehrpersonen als Lerncoaches – Begleitstudie zur Implementation eines neuen Konzepts für die Lehrpersonenausbildung der Sekundarstufe II. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 39 (2021) 2, S. 260-275: https://www.pedocs.de/volltexte/2021/23398/pdf/BzL21_2_260-275BaeuerleinA.pdf
- Dr. Martina Moog (2019): Coaching für den Lernerfolg in Schule und Beruf: https://denkbar-anders.de/wp-content/uploads/2020/04/Coaching-f%C3%BCr-den-Lernerfolg_MartinaMoog.pdf
- UnLearn School – ein Episodenfilm von beWirken: https://alt.bewirken.org/unlearn-school/
- Hintergrundinformationen zur Studie „Subjektive Gesundheitsbeschwerden von Schülern“ der DAK und der Leuphana Universität Lüneburg: https://www.dak.de/dak/download/studie-stress-maedchen-2127778.pdf
- Alle Links, auf die weiter oben verwiesen wurde.

Autorin: Juliane Rau
Juliane Rau ist ausgebildete Lehrerin und hat sechs Jahre lang an einer Berliner ISS unterrichtet. Für beWirken ist sie als Expertin für selbstorganisiertes Lernen und Lernbegleitung in ganz Deutschland an Schulen unterwegs, die sich auf den Weg zu einer zukunftsfähigen Lernkultur machen wollen oder bereits gemacht haben.